Digitale Lage- und Entscheidungsunterstützung für Feuerwehr-Leitstellen

Das Spektrum an Einsatzszenarien von Feuerwehren ist so breitgefächert wie anspruchsvoll. Die Einsatzbandbreite der Werkfeuerwehr eines Chemieparks beispielsweise reicht von Verkehrsunfällen über Brände in oder angrenzend zu Gefahrstofflagern bis hin zu Löscharbeiten in Produktionsstätten. Kurze Anfahrtswege in der räumlich begrenzten und hochkomplexen Infrastruktur lassen den Feuerwehrleuten dabei kaum Zeit für eine Vorbereitung. Sie sind froh, wenn die Fahrtzeit zum Anlegen der Schutzkleidung reicht. Am Einsatzort jedoch zählt jede Sekunde. Jeder Handgriff muss sofort sitzen.

Vernetzte Leitstelle

© Securitas Deutschland
Foto: Patricia Kalisch, www.patriciakalisch.de

Auf unterschiedliche Systeme verteilte Daten, spärliche Informationen über die Lage am Einsatzort und ein eingeschränkter Eingriffsspielraum – das sind vielfach die Bedingungen, unter denen Feuerwehren und Leitstellen heute arbeiten müssen. In der zeitkritischen Vorbereitung des Einsatzes gehören dabei Arbeitsschritte wie solche, in Papierakten Detailinformationen zu einer ausgelösten Brandmeldeanlage nachzuschlagen, Gefahrstoffinformationen in einer Datenbank nachzurecherchieren und dafür Sorge zu tragen, dass ab Eingang des Alarms jeder Schritt des Einsatzes lückenlos dokumentiert wird, immer noch zum Alltag. Dabei sind dies nur einige der Beispiele, bei denen eine durchgängige, digitale Unterstützung wertvolle Zeit einsparen würde. Die Einsatzkräfte könnten sich stattdessen auf ihre Kernaufgaben konzentrieren.

Mit digitaler Unterstützung sollen Feuerwehren daher künftig medienbruchfrei und bedarfsorientiert mit Informationen versorgt werden. Das Fraunhofer FKIE hat hierzu eine Lösung entwickelt, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Ihr Fokus richtet sich auf drei Ziele:

  1. die Integration in vorhandene Systemumgebungen
  2. die gezielte Prozessunterstützung
  3. die intelligente Vernetzung von Leitstelle und mobilen Einsatztrupps.

Die ganzheitlich integrierte FKIE-Lösung für die digitale Vernetzung und Entscheidungsunterstützung von Leitstellen nutzt und vereint dazu unterschiedliche Schlüsseltechnologien:

1. die Integration von Informationen aus unterschiedlichen Datenquellen
z. B. Wetterdaten, Infrastrukturinformationen, Ressourcenverfügbarkeiten sowie Meldungen und Einsatzinformationen aus bereits vorhandenen Einsatzleitsystemen

2. die georeferenzierte Lagekarte
für die interaktive Abfrage von Infrastrukturinformationen sowie die Echtzeit-Positionsanzeige z. B. von Einsatzkräften, -fahrzeugen und Gefahrstoffen

3. die flexible Einbindung autonomer Systeme (UAV/UGV)
zur Aufklärung und Fernmanipulation, damit Videobilder und andere Sensordaten per Unmanned Aerial Vehicle (UAV), also Drohne, oder per Unmanned Ground Vehicle (UGV), also Roboter, frühzeitig bereitstehen und/oder Arbeiten in Gefahrenbereichen aus sicherem Abstand vorgenommen werden können.

Sämtliche Prozesse und Tätigkeiten der Leitstelle rund um den Einsatz, beginnend bei der Einsatzvorbereitung und Disposition über die Einsatzbegleitung bis hin zur nachträglichen Erstellung von Einsatzberichten, werden unterstützt. Die Integration von relevanten Informationen aus heterogenen Datenquellen zu einem übergreifenden Lagebild entlastet sie in der zeitkritischen Einsatzvorbereitungsphase, ihr Lagebewusstsein für fundierte Entscheidungen wird geschärft. Einsatzrelevante Informationen wie aktuelle Baustellen und Sperrungen werden von der Anwendung automatisiert nachgehalten und visuell aufbereitet.

Die vom Fraunhofer FKIE entwickelte, modulare Lösung integriert vorhandene, den Anwendern bekannte Systeme und ersetzt diese nicht. Dies erleichert Nutzerakzeptanz, Einführung und passgenaue Unterstützung des Systems je nach Einsatzzweck. Durch die Übernahme von Einsatzinformationen aus bereits vorhandenen Einsatzleitsystemen und ihre Darstellung in der Lagekarte wird das Verständnis der Disponenten für den Einsatzkontext gefördert und das Reaktionszeitfenster für die Bereitstellung notwendiger Ressourcen optimiert.

Auch die Informationsversorgung der Kräfte am Einsatzort erfolgt durch die vereinheitlichte Datenbasis gezielter und besser, da die auf mobilen Endgeräten verfügbare georeferenzierte Lagekarte interaktive Abfragen von einsatzkritischen Infrastrukturinformationen erlaubt, z. B. zu Wasserentnahmestellen, Gefahrstofflagern oder Rohrbrücken.

Pilotbetrieb mit UAV-Anbindung im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen

Neben seiner Erprobung in militärischen Umgebungen sowie im zivilen Flughafenbetrieb wurde das FKIE-Führungssystem für die Werkfeuerwehr des Chemieparks Bitterfeld-Wolfen als Pilotsystem ausgebaut. Diese wird durch das Unternehmen Securitas gestellt. Für die Umsetzung der kartenbasierten Lagedarstellung wurden Infrastrukturdaten des Chemieparks mit Informationen zu Gebäuden, Rohrbrücken, Hydranten, Straßen und Schienen integriert und aufbereitet. Sie bildet die Basis für die Anzeige von Anfahrtswegen, Fahrzeugpositionen, Messwerten von Gas-Sensorik und weiteren räumlich bezogenen Informationen.

Die einsatzbezogene Lagedarstellung erlaubt die Zuordnung von Ressourcen und die Einsatzprotokollierung. Für den Disponenten in der Leitstelle wird die Arbeit mit dem System dabei möglichst einfach gehalten werden, da er zahlreiche Aufgaben parallel zu bewältigen hat.

Über eine generische Befehlsgebungslösung erlaubt das FKIE-System weiterhin die Anbindung von Drohnen (UAV), Robotern (UGV) und anderen Systemen unterschiedlichster Hersteller. In Bitterfeld-Wolfen setzt Securitas neben Body-Cams für die Einsatzkräfte auf zusätzliche UAV-Unterstützung durch den Multikopter »Fire & Safety Drohne FD-8« für die Aufklärung aus der Luft. Per HD- und Wärmebildkamera sowie Multi-Gas-Sensorik werden Informationen aus der Vogelperspektive gesammelt und den Einsatzkräften zur Verfügung gestellt.

Flug und Kameraausrichtung der Drohne steuert der Disponent dabei direkt aus dem System heraus mit Befehlen wie »Bewegen« oder »Umkreisen«. Mit dem Befehl »Umkreisen« gibt er beispielweise lediglich mit einem Klick einen Zielpunkt vor. Das UAV fliegt diesen automatisch an, umkreist ihn in einem vorgegebenen Radius und richtet die Kamera stets auf das Zentrum des Flugradius, den vorgegebenen Zielpunkt, aus.

Ohne zusätzlichen Arbeitsaufwand erhält der Disponent dadurch eine Live-Ansicht der Situation vor Ort aus unterschiedlichen Perspektiven. In der Leitstelle liegen dadurch frühzeitig Informationen über die Gegebenheiten vor Ort für das Briefing der anfahrenden Feuerwehrleute und gegebenenfalls eine Nachalarmierung vor. Sobald die Einsatzkräfte vor Ort sind, komplettieren die während des Einsatzes getragenen Body-Cams die Live-Ansicht mit Bildern vom Geschehen am Boden.

Die FKIE-Demonstratorlösung wurde mittlerweile im Leitstand der Werkfeuerwehr aufgestellt und befindet sich dort aktuell in der Erprobung. Perspektivisch soll sie schrittweise als modulare Erweiterung in die Realität umgesetzt und durch die Anbindung weiterer Datenquellen und Systeme ausgeweitet werden. Der UAV-Einsatz soll dabei ein wichtiges Element bilden. Bewährt sich das System im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen, könnte dies ein Modell für weitere Standorte werden.