»Als weibliche Exoten haben wir uns nie gefühlt«
»Elektrotechnik studieren? Das habe ich mich nach dem Abitur zuerst nicht getraut«, sagt Carolin Meyer-Schwalm. Schließlich habe sie in ihrer Freizeit weder Stunden mit Löten und Schweißen zugebracht, noch sich als naturwissenschaftlicher »Nerd« gefühlt. Getraut hat sich Meyer-Schwalm schließlich trotzdem – und vor rund fünf Jahren den Masterstudiengang Elektrotechnik an der RWTH Aachen mit bestem Ergebnis abgeschlossen. Damit gehört die heute 30-jährige Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE in Wachtberg noch immer zu einer Minderheit: Frauen, die in Forschung und Entwicklung (F&E) tätig sind. Ihre Bedeutung würdigen die UN seit 2015 alljährlich am 11. Februar mit dem »Internationalen Tag der Mädchen und Frauen in der Wissenschaft«.
Nur knapp ein Drittel der weltweit in der Wissenschaft Beschäftigten sind Frauen. Insbesondere in den sogenannten MINT-Fächern – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – sind Männer sowohl im Studium als auch in der Berufswelt nach wie vor deutlich in der Mehrheit. An dieser Geschlechterverteilung hat sich mit Blick auf das vergangene Jahrzehnt kaum etwas verändert: So stieg laut Statistischem Bundesamt der Frauenanteil im F&E-Bereich zwischen 2011 und 2021 in Deutschland um gerade einmal 2,6 Prozent.
Erfolge durch gezielte Förderung der Wissenschaftlerinnen
Die Beschäftigtenstruktur am Fraunhofer FKIE mit seinen knapp 500 Mitarbeitenden an den Standorten Wachtberg, Bonn und Aachen macht da auf den ersten Blick keine Ausnahme. Und doch hat sich in den vergangenen Jahren schon einiges getan: Bei der FKIE-Forschungsabteilung »Mensch-Maschine-Systeme« (MMS) etwa ist mittlerweile die Hälfte der Mitarbeitenden weiblich, bei immer mehr Forschungsgruppen übernehmen Frauen die Leitungsposition.
Dies sei nicht zuletzt ein Erfolg gezielter Förderung, wie Dr. Eva Kneise, Leiterin der Personalentwicklung am Fraunhofer FKIE, sagt. »Bestimmte Programmangebote wie etwa ‚Talenta‘ unterstützen die Mitarbeiterinnen dabei, sich untereinander zu vernetzen, ihre Karrieren zu planen und voranzukommen.« Neben der Arbeit und Forschung in interdisziplinären und internationalen Teams gebe es zudem viele Modelle am Institut, die für Frauen reizvoll seien: Auszeiten ohne den befürchteten »Karriereknick« etwa, Projektleitung auf Zeit, um Erfahrungen zu sammeln, oder auch Führung in Teilzeit. »Das alles ermutigt Frauen, sich mehr zuzutrauen, mehr Verantwortung oder eine Leitungsrolle zu übernehmen.«
Unterschiedliche Wege in die Forschung
Dass der Weg in die Forschung dabei keineswegs immer über ein Studium der Ingenieur- oder Technikwissenschaften führt, stellen Sophie Decher und Theresa Krumbiegel unter Beweis. Beide arbeiten am Fraunhofer FKIE in der Forschungsgruppe »Informationsanalyse« auf dem Gebiet des Natural Language Processing (NLP), einem interdisziplinären Teilgebiet der Informatik und Linguistik. Große Datenmengen – etwa aus dem Bereich Social Media – gilt es dabei nach bestimmten Schemata zu strukturieren, zu verarbeiten und zu analysieren. Sowohl Decher als auch Krumbiegel haben in Bonn »Applied Linguistics« studiert und über Praktika das Institut kennengelernt, an dem sie seit mittlerweile einigen Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen tätig sind.
Vorgezeichnet war dieser Weg allerdings für beide nicht: »Ich habe zwar ein MINT-Gymnasium besucht, aber als Leistungskurse Deutsch und Englisch belegt«, erinnert sich die 29-jährige Krumbiegel. »Dass ich heute programmiere, hätte ich mir vor zehn Jahren nicht vorstellen können.« Auch in ihrer Forschungsabteilung sind die Männer zwar in der Überzahl, als weibliche »Exoten« hätten sich beide dennoch nie gefühlt. Mann oder Frau – das mache in der täglichen Arbeit keinen Unterschied, betonen beide Wissenschaftlerinnen. »Die Arbeit steht im Mittelpunkt, unabhängig davon, ob ein Mann oder eine Frau sie leistet.« Häufig hätten sie es hingegen erlebt, dass die Umwelt im ersten Moment überrascht reagiere, wenn sie von ihrer wissenschaftlichen Arbeit berichten. »Da gibt es auch in der externen Wahrnehmung noch einiges zu tun«, so Decher und Krumbiegel. Doch beide sind überzeugt: »Je mehr Frauen wir in der Wissenschaft werden, desto leichter wird es in Zukunft.«
Eigene Promotion fest im Blick
Dazu leisten auch die beiden FKIE-Wissenschaftlerinnen ihren Beitrag und halten inzwischen regelmäßig Lehrveranstaltungen an der Bonner Universität. Sie selbst haben als nächstes Karriereziel die eigene Promotion fest im Blick – wie im Übrigen auch ihre Kollegin Carolin Meyer-Schwalm. Für die Betreuung ihres Promotionsvorhabens hat die 30-Jährige eine der deutschlandweit wenigen Professorinnen für Elektrotechnik als Doktor-Mutter gewinnen können. Meyer-Schwalm, selbst Mutter zweier Jungs im Alter von zwei und vier Jahren, arbeitet seit 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der FKIE-Forschungsabteilung »Sensordaten- und Informationsfusion« (SDF) – derzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden. »Anfangs hatte ich etwas Sorge, von den Kollegen nur als Teilzeit-Mutti wahrgenommen zu werden«, erinnert sie sich: »Doch diese Sorge war absolut unbegründet.«
Mit Blick auf ihren eigenen beruflichen Werdegang sagt die 30-Jährige heute: »Naturwissenschaften gehörten in der Schule auch, aber nicht nur zu meinen Stärken. Im Gegensatz zu Jungen sind Mädchen vielleicht diverser aufgestellt und ihr Weg verläuft weniger geradlinig. Mir hat damals womöglich der richtige Schubs zur richtigen Zeit gefehlt, um mich gleich für Elektrotechnik einzuschreiben.« Ihr Bachelor-Studium zunächst in Wirtschaftsingenieurwesen an der RWTH Aachen sei dennoch zu Beginn schon eine Herausforderung gewesen. »Unter rund 600 jungen Männern im Hörsaal gab es vielleicht ein oder zwei Handvoll Frauen«, erinnert sie sich. »Aber das hatte auch seine positiven Seiten: Alle kannten einen.«
Beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Mädchen und jungen Frauen, die heute darüber nachdenken, ein MINT-Fach zu studieren, spricht sie Mut zu: Mit einem naturwissenschaftlichen Studium sei jede Frau thematisch breit aufgestellt, flexibel und auf dem Arbeitsmarkt sehr begehrt. »Es gibt nichts zu verlieren«, lautet ihr Rat. »Habt keine Angst davor, in der Minderheit zu sein und vertraut auf Eure Stärken.«