Bei EnRicH üben Experten den Ernstfall im Atomkraftwerk
Störfälle in einem Atomkraftwerk wie in Tschernobyl und Fukushima oder bereits die Stilllegung und Demontage alter kerntechnischer Anlagen demonstrieren anschaulich, wie wichtig der Einsatz von Robotertechnologien bei radioaktiver Belastung ist. Der Roboter agiert dort, wo es für den Menschen eindeutig zu riskant und gefährlich ist. Er sorgt dafür, dass trotz höchster Strahlenbelastung ein Lagebild entsteht, Strahlungsquellen identifiziert und gegebenenfalls sogar geborgen werden können. Beim zweiten »European Robotics Hackathon« (EnRicH) im Juli 2019 üben Robotik-Experten im österreichischen AKW Zwentendorf den Ernstfall. Glücklicherweise nur als gestelltes Szenario, dafür aber unter realen Bedingungen.
Das AKW Zwentendorf ist eines der wenigen Kernkraftwerke der Welt, das zwar fertiggestellt, aber nie in Betrieb genommen wurde. Reparatur- und Demontagemaßnahmen, aber auch kritische Vorfälle oder Katastrophenszenarien können dort trainiert werden, ohne dass die Gefahr einer Kontamination besteht. Das macht sich auch das EnRicH-Organisatorenteam um Dr. Frank E. Schneider, stellvertretender Leiter der Abteilung »Kognitive Mobile Systeme« am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationstechnologie und Ergonomie FKIE, im kommenden Jahr zum zweiten Mal zunutze, um in einem realen Umfeld zu sehen, wie verschiedene Robotersysteme unter diesen Bedingungen eingesetzt werden können. »Roboter liefern eine gute Möglichkeit, die Expositionszeit der Menschen nach einem Unglücksfall zu reduzieren«, unterstreicht auch Brigadier Mag. Michael Janisch, Leiter des österreichischen Amtes für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) und Veranstalter der EnRicH.
»EnRicH ist nicht als Wettbewerb zwischen Teilnehmern, sondern mehr als Training der Robotersysteme zu verstehen. Wir wollen einen umfassenden Überblick über ihren aktuellen Leistungsstand erhalten. Die ganzen Tests sind streng auf Forschung und Entwicklung ausgerichtet, um danach die Verbesserung der Roboter zu fördern«, beschreibt Dr. Schneider das Ziel des fünftägigen Hackathons. Begleitet wird die Veranstaltung erstmals von einem FuE-Workshop für die Teilnehmer.
Für diese Robotik-Tests werden den Organisatoren radioaktive Proben durch das ARWT zur Verfügung gestellt, um deren Detektion und Manipulation sich das Übungsszenario dreht. Aufgrund der aktiven Strahlungsquellen dürfen die Roboter nicht begleitet werden, eine Ausstattung der Roboter mit mobilen Kameras ist allerdings vorgeschrieben. Die Aufgaben, denen sich die Teams stellen müssen, sind durchaus anspruchsvoll: Im Rahmen der Erkundung und zur Erstellung eines umfassenden Lagebildes muss eine dreidimensionale Karte der Störfall-Umgebung erstellt werden. Vorhandene Strahlungsquellen sollen in einer digitalen Karte markiert und die jeweilige Strahlungsintensität verzeichnet werden. Für die Manipulationsaufgabe müssen radioaktiv kontaminierte Teile eines Leitungssystems identifiziert und die dazu gehörigen Ventile geschlossen werden. Außerdem sollen »Verletzte«, in Form von im Szenario verteilten »Dummys«, gefunden und nach Möglichkeit geborgen werden.
Die Herausforderungen, mit denen die Teams dabei zu kämpfen haben, spiegeln das typische Innere eines Kernkraftwerks wider: kein Licht, geschlossene Türen, steile Treppen, enge Kurven und Durchgänge. Hinzu kommt die erschwerte Kommunikation zwischen Roboter und Leitstand aufgrund von massiven Betonwänden und metallverkleideten Räumen. Auf Wunsch wird den Teams daher optional Funk zur Verfügung gestellt. Nicht alle Roboter müssen alle drei Aufgaben absolvieren, zudem können auch unterschiedliche Plattformen eingesetzt werden.
»Wir suchen nicht das ultimative Siegerteam«, erklärt Cheforganisator Dr. Schneider, »wir möchten allen Teilnehmern die Möglichkeit bieten, ihr System in einem realen Szenario und unter durchaus schwierigen Bedingungen zu testen und zu verbessern«. Denn natürlich werden die Leistungen der verschiedenen Teams während der gesamten Veranstaltung von einer Jury begutachtet und abschließend bewertet. »Gezielte und sichere Manipulation erfordert ständig Tests und Übungen in einem möglichst realistischen Szenario. EnRicH räumt uns allen, aber vor allem den Entwicklern von Robotersystemen die Möglichkeit ein, besser auf den Ernstfall vorbereitet zu sein«, so Veranstalter Brigadier Janisch.