Beeindruckende Leistungen beim 4. European Robotics Hackathon im Atomkraftwerk Zwentendorf
Die weite Anreise hat sich für Team Capra Éts gelohnt: Beim 4. European Robotics Hackathon (EnRicH) im AKW Zwentendorf bei Wien hat die Mannschaft aus Kanada in der Kategorie »Search and Rescue« mit ihrem kettengetriebenen Roboter »Markhor« die besten Ergebnisse erzielt. Ein toller Erfolg für die Crew um Teamleiter Marc-Olivier Champagne, die erstmals bei der EnRicH an den Start ging. Von Interesse ist bei dieser außergewöhnlichen Veranstaltung, die das österreichische Amt für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE alle zwei Jahre organisiert, allerdings nicht allein die Platzierung. Im Gegenteil. Der Hackathon ist vor allem ein Leistungsvergleich, bei dem eine Frage im Mittelpunkt steht: Was können Roboter im Falle eines Störfalls zur Unterstützung des Menschen heute leisten? Und, fast noch wichtiger: Was (noch) nicht?
Die Boxengasse ist in einer der ehemaligen Werkshallen untergebracht. 13 schmale Parzellen, zum Sichtschutz lediglich durch schwarze Plastikplanen voneinander abgetrennt. In und vor den Boxen stapeln sich Kisten, Werkzeug und Kabel zwischen Rucksäcken, Wasserflaschen und Kekstüten. Mitten in ihrem selbstgefertigten Durcheinander sitzen die 13 Teams, ein Rekord bei der Veranstaltung. Frauen und Männer jeden Alters, die gebannt auf Laptops schauen, an der Feinjustierung ihrer Roboter arbeiten oder voller Elan die nächsten Arbeitsschritte diskutieren. So sieht das normale Szenario beim European Robotics Hackathon 2023 aus.
Für die Szenarien jenseits des Normalen sind das Orga-Team um Dr. Frank E. Schneider, stellvertretender Leiter der FKIE-Abteilung »Kognitive Mobile Systeme«, und FKIE-Mitarbeiter Dennis Wildermuth und Hans-Ludwig Wolf zuständig. Knapp ein Jahr haben sie die fünftägige Veranstaltung vorbereitet, bei der es vor allem um eines geht: absolute Realitätsnähe. Und für die bürgt das AKW Zwentendorf als Veranstaltungsort, den das ARWT seit der EnRicH-Premiere 2017 zur Verfügung stellt.
Ein AKW ist kein Spielplatz: Sicherheit als oberstes Gebot
Der nach einer Volksabstimmung 1978 nie in Betrieb gegangene Atommeiler, baugleich mit dem 2011 zerstörten Kernkraftwerk in Fukushima, scheint wie aus der Zeit gefallen. Gleich hinter der Eingangsschleuse hängen noch die Schutzanzüge, die nie zum Einsatz kamen. In den halbdunklen Gängen ist es eng, die Böden sind teils feucht vom Kondenswasser, steile Treppen führen in Kontrollräume, die Mauern sind mehr als einen Meter dick. Die Luft ist abgestanden, manchmal muffig. »Das AKW hier ist alles andere als ein Spielplatz«, sagt Schneider, der zum Auftakt der EnRicH gemeinsam mit ARWT-Direktor General Michael Janisch die Teilnehmer begrüßte. Für fast die Hälfte unter ihnen war es die EnRicH-Premiere. »Es gibt hier mehr als 1000 Räume und manche Türen haben Klinken nur auf einer Seite. Auf Sicherheit zu achten, ist hier das oberste Gebot.«
Zumal bei der EnRicH – weltweit wohl einzigartig – mit echten radioaktiven Quellen geübt wird. Neben der Disziplin »Search & Rescue« geht es bei den Disziplinen »Manipulation« und »Mapping« unter anderem darum, eben diese radioaktiven Quellen zu detektieren. Das ist auch Bestandteil der vierten, 2021 neu hinzugekommenen Disziplin, bei der für »Unmanned Aerial Vehicles« (UAVs) oder Drohnen eigene Szenarien im Inneren des Gebäudes entworfen werden. Die radioaktiven Quellen stellt das ARWT unter strengsten Sicherheitsauflagen zur Verfügung. »Zudem gibt es bei den Szenarios Bereiche im Gebäude, die gut ausgeleuchtet und durch WLAN abgedeckt sind, andere haben nur wenig Licht und eine unzuverlässige Funkabdeckung oder müssen in Dunkelheit und völlig autonom erkundet werden«, so Schneider. Unter diesen Bedingungen gilt es, Gegenstände zu umfahren, Dummy-Puppen zu bergen oder zum Beispiel Ventile zu drehen.
Roboter: Früher per Joystick gesteuert, heute auf autonomer Mission
»EnRicH schafft eine Art Vergleichswelt zum Labor«, beschreibt Dr. Michael Gustmann, Betriebsleiter der Kerntechnischen Hilfsdienst-Gesellschaft (KHG) in Deutschland, das Besondere des Hackathons. Seit der ersten EnRicH ist der Experte für kerntechnische Fragestellungen Mitglied der Jury. In den vergangenen Jahren habe sich auf dem Gebiet der Robotik bereits eine Menge getan. »Damals wurden die Roboter noch mit Joysticks gesteuert«, erinnert er sich. »Heute hingegen erhalten sie eine Art Mission: Sie sollen zum Beispiel Verwundete retten oder ein Areal erkunden. Da hat es schon große Fortschritte gegeben, aber es bleibt noch sehr viel zu tun.« Etwa in punkto Kommunikation: So führten Kommunikationsprobleme auch bei den Testläufen dazu, dass sich Roboter kaum oder auch gar nicht bewegten. »Diese Probleme zu lösen, bleibt eine Riesen-Aufgabe«, so Gustmann.
Eigens aus Finnland angereist war erstmals auch das Team Tiers von der Universität in Turku. Mit vier Wagen fuhr die zwölfköpfige Gruppe in drei Tagen nach Zwentendorf. Mit dabei eine Drohne und zwei Roboter. Mit zurück in die Heimat nehmen sie den Sieg in der Kategorie »UAV Mapping« und viele neue Eindrücke. »Das gesamte Areal ist sehr beeindruckend«, so Teamleiter Jorge Pena Queralta. Die Aufgaben seien schwierig, die Korridore viel enger als gedacht. »Aber wir lernen hier eine Menge, und die ganze Atmosphäre ist einfach nur cool.«
Überprüfung des Entwicklungsstands der eigenen Systeme
Das sieht auch Johannes Mangler so, Leiter des siebenköpfigen Teams FZI-RET. »Die Testing-Area ist prima und die Organisation hervorragend«, lobt er. Insbesondere die Autonomie-Seite der Veranstaltung habe ihn und das Team vom Karlsruher Forschungszentrum Informatik interessiert. Drei Roboter hat die Mannschaft dabei, die über einen Leitstand mit sechs Monitoren gesteuert werden und im Idealfall miteinander kooperieren sollen. »Unser Ziel ist es nicht, hier zu gewinnen«, erklärt Mangler. »Uns geht es vielmehr darum, anhand neuer Herausforderungen den Entwicklungsstand unserer Systeme zu überprüfen.«
Das gilt auch für Boris Illing, Dr. Matthias Nieuwenhuisen und Alexander Fitz-Gibbon vom Team FKIE. Erstmals brachten sie den Dual-Arm-Roboter »Magni« bei der EnRicH in den praxisnahen Einsatz und konnten wertvolle Erkenntnisse gewinnen. »In den diesjährigen Szenarien konnten wir viele Testdaten sammeln und schauen, wie unsere Einzelsysteme real zusammenspielen. Das kann eine Laborumgebung einfach nicht leisten«, bilanziert FKIE-Robotik-Experte Illing. Sein Kollege Nieuwenhuisen ergänzt: »Zwar haben wir im Wettbewerb dieses Jahr nicht so gut abgeschnitten, aber viel wichtiger ist: Wir wissen nun genau, wie wir unsere Assistenzfunktionen, beispielsweise für die Indoor-Navigation, weiterentwickeln müssen.«
Noch höherer Autonomie-Anteil bei EnRicH 2025
Bei der nächsten Ausgabe der EnRicH in zwei Jahren werden die beiden Wissenschaftler dann im harten Praxistest prüfen, welche funktionellen Verbesserungen sie in der Zwischenzeit erarbeiten konnten. Denn die fünfte Runde des Hackathons hat ARWT-Direktor General Janisch bereits bestätigt. Für Organisator Schneider ist nach dem Wettbewerb unmittelbar vor dem nächsten: »Wir beginnen schon jetzt mit der Vorbereitung der nächsten EnRicH. So gibt es erste Überlegungen, den Autonomie-Anteil weiter zu erhöhen und noch mehr parallele Szenarien anzubieten.«