FKIE-Projekt »lokik« geht in den Testbetrieb
Ein unabhängiges Kommunikationsnetz und ein flexibles Lagebild für die Akutphase einer Katastrophe: Das ist das Ziel des Projekts »lokik«, kurz für »Lokales initiales Krisenmanagement«, an dem Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE seit der verheerenden Flutnacht im Ahrtal 2021 arbeiten. Im Frühjahr 2022 präsentierten die Forscher im Gebäude des Winzer-Vereins in Mayschoß erstmals offiziell ihr Vorhaben. Seitdem ist viel passiert – in den Flutgebieten an der Ahr, aber auch beim Projekt »lokik«.
Der kleine Ort Birresdorf in der Gemeinde Grafschaft zählt rund 930 Einwohner und 150 Haushalte. Neben Mayschoß und Remagen gehört er zu den Partnern, mit denen das FKIE seit Beginn intensiv an dem Projekt arbeitet. »In den nächsten Wochen starten wir in Birresdorf den Testbetrieb«, sagt FKIE-Forschungsgruppen- und Projektleiter Arne Schwarze. »Dabei wollen wir ausloten, wie die Menschen vor Ort ‚lokik‘ auch im Alltag nutzen können.« Auch in Mayschoß soll die Teststellung noch vor den Sommerferien erfolgen.
Dass die unmittelbaren Erfahrungen der Flut-Betroffenen in das »lokik«-Projekt einfließen, war den Wissenschaftlern von Beginn an ein wichtiges Anliegen. Auch viele Kolleginnen und Kollegen des Instituts mit Hauptstandort in Wachtberg traf die Katastrophe im Juli 2021 zum Teil schwer, andere engagierten sich über Wochen und Monate bei den Hilfs- und Aufräumarbeiten. Sämtliche Erkenntnisse fließen in die Entwicklung des Projekts ein, bei dem mittlerweile Phase zwei angelaufen ist.
Hardware- und Softwarekomponente
»Kein Strom, kein Netz, die Infrastruktur zerstört, die Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten,« so beschreibt Schwarze die Ausgangssituation in vielen Orten des Ahrtals in den ersten Stunden nach der Flutkatastrophe. Exakt an diesem Punkt setzt die »lokik«-Lösung an, die aus einer Hardware- und einer Softwarekomponente besteht. Der Hardware kommt dabei eine besondere Rolle zu – insbesondere, wenn wie an der Ahr die Kommunikationsnetze ausfallen. Sie ermöglicht den Aufbau eines autarken Netzwerks, über das Endgeräte Zugriff auf die digitale »lokik«-Lagekarte haben.
Rechner und die mobil einsetzbaren Kommunikationskomponenten werden an einem sicheren Ort in der Gemeinde positioniert und im Katastrophenfall unabhängig von externer Technik mit einer eigenen Stromversorgung – von der handelsüblichen Powerbank bis hin zum Stromgenerator – in Betrieb genommen.
Basis der Software ist eine digitale Lagekarte, die die Infrastruktur eines Ortes oder einer Stadt darstellt und über einen Browser per Smartphone, Tablet oder Computer abzurufen ist. Im Katastrophenfall können Bürger eine Schadens- bzw. Problemlage eintragen, sodass der örtliche Krisenstab schnell einen Überblick erhält und Einsätze besser koordinieren kann.
Menschen vor Ort können Unterstützungsangebote melden
Nach der ersten Feedback-Runde bei den Projektpartnern in Birresdorf, Mayschoß und Remagen erweiterten die Wissenschaftler das »lokik«-Testsystem Ende 2022 um eine weitere Komponente: Nicht mehr nur Problemlagen, sondern auch Unterstützungsangebote können die Menschen vor Ort nun über die Lagekarte melden. »Die Situation im Ahrtal hat gezeigt, dass es eine enorme Nachfrage etwa nach Trinkwasser, Medikamenten, Werk- oder Fahrzeugen gab«, beschreibt Schwarze.
Irgendwo im Ort waren diese Ressourcen vermutlich vorhanden, doch häufig sei es nicht gelungen, diese Informationen zu verbreiten. Hinzugekommen ist auch die Zuteilung bestimmter »Funktionsrollen« für die Kartennutzer. »Bürger und der lokale Krisenstab haben – schon aus datenschutzrechtlichen Gründen – unterschiedliche Ansichten«, erklärt Schwarze. »Neu ist die dritte Funktion: Eine Art ‚Sichter‘, der zum Beispiel das gemeldete Schadensausmaß überprüft und dem örtlichen Krisenstab bestätigt.«
Zahlreiche positive Rückmeldungen auf das Projekt
Während des Testbetriebs in den kommenden Wochen finden auch die nächste Feedbackrunde und weitere Einzelinterviews statt. Die dabei ausgemachten Anforderungen werden im Anschluss erneut erst priorisiert und dann in das System eingearbeitet. Auf seine Praxistauglichkeit wird »lokik« zudem im Sommer bei einer großen Übung mit dem Technischen Hilfswerk Euskirchen getestet.
Schon jetzt hat das FKIE-Team zahlreiche positive Rückmeldungen auf das Projekt, das noch bis September 2023 läuft, erhalten. In TV-Beiträgen, darunter die zweiteilige ARD-Dokumentation »Deutschland im Ernstfall«, war »lokik« ebenso Thema wie beim Fachkongress des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn sowie in mehreren Arbeitskreisen des Landkreistags NRW. Zudem haben einige Firmen bereits ihr Interesse bekundet.
Eine konkrete Zusammenarbeit ist mit dem Zentrum Digitalisierung der Bundeswehr und Fähigkeitsentwicklung Cyber- und Informationsraum entstanden: Ab Mai wird dort eine Schnittstelle zu der Software »Sitaware« – Basis für das neue Führungsinformationssystem der Bundeswehr – entwickelt, um »lokik« mit dem System kompatibel zu machen. Ein Punkt, der Schwarze besonders wichtig ist: »Wir wollen keine Insel-Lösung entwickeln. Mit den passenden Schnittstellen ergänzt und unterstützt ‚lokik‘ andere Systeme und hat damit im Fall einer Katastrophe auch einen langfristigen Nutzen.«
Weitere Informationen: www.fkie.fraunhofer.de/lokik