Neue Sicherheit im Fährverkehr für den Transport alternativ betriebener Fahrzeuge

Feueralarm während der Überfahrt eines Fährschiffes: In solch einer kritischen Situation muss die Besatzung an Bord erste Maßnahmen zur Brandbekämpfung selbst durchführen. Immer häufiger finden sich unter den transportierten Fahrzeugen auch solche mit alternativen Antrieben wie z.B. E-Fahrzeuge oder Wasserstoff-Fahrzeuge. Obwohl diese sich in ihren Risiken und Eigenschaften stark von konventionellen Fahrzeugen unterscheiden, werden sie gegenwärtig im Fährverkehr weder erfasst noch speziell behandelt. Um die Sicherheit für Besatzung, Passagiere und Umwelt zu erhöhen, entwickelte das Fraunhofer FKIE Konzepte für den sicheren Transport alternativ betriebener Fahrzeuge auf Fähren.

ALBERO – Transport alternativ betriebener Fahrzeuge auf RoRo-Fährschiffen

© iStock / Morten Kjerulff
Ein Brand auf einem Fährschiff stellt eine Gefahr für Besatzung, Passagiere und Umwelt dar. Verschiedene Vorfälle zeigen, dass sich durch den Transport alternativ betriebener Fahrzeuge neue Gefahrenpotenziale ergeben. So ging etwa im Februar 2022 das Transportschiff »Felicity Ace« in Flammen auf und sank. Mit an Bord waren zahlreiche Elektrofahrzeuge, deren Lithium-Ionen-Batterien Feuer fingen und die Brandbekämpfung erschwerten. Bereits im November 2011 kam es während des Aufladeprozesses zu einem Brand eines Elektrofahrzeuges auf dem Fahrzeugdeck der Fähre »Pearl of Scandinavia«, der auch auf andere Fahrzeuge übergriff.

Der Anteil alternativ betriebener Fahrzeuge am weltweiten Fahrzeugaufkommen steigt kontinuierlich. Dies führt auch zu einem erhöhten Transportaufkommen dieser Fahrzeuge auf Fährschiffen. Derzeit gibt es jedoch noch keine schlüssigen Konzepte für den sicheren Transport von alternativ betriebenen Fahrzeugen auf Fähren. Die Fahrzeuge werden gegenwärtig nicht speziell berücksichtigt oder erfasst, weder beim Beladungsvorgang der Fähren noch während der Überfahrt.

Was genau gilt es zu berücksichtigen?

Alternative Antriebe besitzen unterschiedliche Eigenschaften und Risiken, die sich von denen konventioneller Fahrzeuge unterscheiden. Im Falle eines Batterie-Brandes an einem Elektrofahrzeug zum Beispiel platzen die in der Batterie verbauten Einzelzellen nach und nach auf und fachen das Feuer immer wieder neu an. Solche Brände sind langandauernd, schwer kontrollierbar und setzen toxische Gase frei, die Besatzungsmitglieder und Passagiere in der Umgebung gefährden. Bei Fahrzeugen mit Wasserstoffantrieb ist hingegen besonders zu beachten, dass Wasserstoff mit einer im Tageslicht nicht sichtbaren Flamme brennt. Für eine sichere und effektive Gefahrenbekämpfung an Bord muss also bekannt sein, welche Antriebsart ein betroffenes Fahrzeug hat und welche Antriebsarten sich in der kritischen Umgebung befinden.

Warum sollte dies an Bord berücksichtigt werden?

In einer kritischen Situation an Bord muss die Besatzung erste Maßnahmen, beispielsweise zur Brandbekämpfung, selbst durchführen. Bislang weiß die Besatzung aber weder, ob sich alternativ betriebene Fahrzeuge an Bord befinden, noch, welche konkreten Antriebsarten vertreten und wo die Fahrzeuge platziert sind. Darüber hinaus fehlen Wissen und Erfahrung im Umgang mit den neuen Gefahren.

Ziel des Projekts

Im Projekt wurden daher Konzepte für die sichere Integration alternativ betriebener Fahrzeuge in den Fährverkehr erarbeitet. Der Schwerpunkt lag auf der Entwicklung eines gebrauchstauglichen Lagedarstellungs- und Entscheidungsunterstützungssystems, das die Besatzung auf der Schiffsbrücke bei der Überwachung der Fahrzeugdecks unterstützen und die Sicherheit beim Transport von alternativ betriebenen Fahrzeugen auf Fährschiffen nicht nur in der Brandbekämpfung, sondern bereits in der Prävention erhöhen soll.

 

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Die derzeitigen Abläufe im Hafen und an Bord wurden mittels Befragungen, Beobachtungen und Dokumentenanalysen erhoben. Der resultierende Ist-Prozess wurde mit Hilfe der Modellierungssprache BPMN 2.0 grafisch dargestellt.
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Das »Swiss Cheese Model« (Reason, 1990) zeigt bildhaft, wie eine Verkettung von Unfallursachen zu einem unerwünschten Ereignis führen kann. Das Modell wurde auf den Kontext des Transports alternativer Antriebsarten auf Fährschiffen angewendet, um mögliche Sicherheitsbarrieren zu identifizieren, die das Risiko eines kritischen Ereignisses an Bord reduzieren.

Um eine sichere Überfahrt auf Fährschiffen zu gewährleisten, müssen Fahrzeuge mit alternativen Antriebsarten im gesamten Prozess von der Buchung der Passage über die Beladung im Hafen bis hin zum eigentlichen Transport an Bord berücksichtigt werden.

Methodik

Unter Einsatz der Methodik der menschzentrierten Gestaltung nach DIN EN ISO 9241-210 wurden Anforderungen an die Integration alternativ betriebener Fahrzeuge von Stakeholdern bzw. Prozessbeteiligten erhoben. Diese Methodik wurde auch eingesetzt, um ein Lagedarstellungssystem zu konzipieren, das vor allem Kapitäne und Offiziere auf der Brücke adäquat unterstützen soll. Das System wurde im Rahmen des Projekts als Demonstrator mit dem Namen »Load Monitoring Support System«, kurz LoMoSS, umgesetzt.

Lösungsansatz

LoMoSS stellt die Positionen alternativ betriebener Fahrzeuge an Bord grafisch dar. Neuartige Sensorik, die von Verbundpartnern entwickelt und erprobt wurde, ermöglicht eine schnelle Erkennung potenzieller Gefahrenlagen durch Gas- und Temperaturüberwachung auf den Fährdecks. Diese Informationen dienen als Grundlage für speziell auf kritische Situationen mit alternativen Antrieben zugeschnittene Warnmeldungen, die der Brückenbesatzung über die LoMoSS-Benutzungsschnittstelle dargestellt werden. Das System befähigt die Besatzung nicht nur zum frühzeitigen Eingreifen, sondern bietet auch eine Entscheidungsunterstützung zum Umgang mit den Warnmeldungen, sodass gezielt die richtigen Maßnahmen ergriffen werden können.

In einem umfassenden, modularen Gesamtkonzept wurden Empfehlungen für die Integration alternativ betriebener Fahrzeuge in den Fährverkehr zusammengefasst. Die darin beschriebenen Prozessanpassungen beziehen sich unter anderem auch auf eine klare Beschilderung der Fahrzeuge, die Vorsortierung im Hafen für eine effiziente und sichere Beladung, die Platzierung der Antriebsarten auf geeigneten Decks als präventive Maßnahme sowie die Erfassung der finalen Fahrzeugpositionen an Bord.

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Zentraler Bestandteil des Lagedarstellungssystems ist der Decksplan, auf dem wichtige Lageinformationen wie die Positionen von alternativ betriebenen Fahrzeugen, transportierten Gefahrstoffen, ausgelösten Sensoren und vorhandenen Löschmitteln dargestellt werden.

Der entwickelte LoMoSS-Demonstrator wurde mit nautischen Offizieren zweier Fährreedereien in einer Abschlussuntersuchung hinsichtlich seiner Usability und User Experience evaluiert. Das System wurde von allen Probanden als hilfreich oder sehr hilfreich bezeichnet. Alle Befragten würden es zur Überwachung der Fahrzeugdecks nutzen.

Voraussetzung für den praktischen Einsatz des Lagedarstellungs- und Entscheidungsunterstützungssystems ist die Implementierung der konzipierten Prozessanpassungen, etwa zur Antriebsartenerfassung, aufseiten der Reedereien. Das System müsste darüber hinaus eine Anbindung an das Buchungssystem der jeweiligen Reederei sowie an die eingesetzte Sensorik erhalten. Durch die Überwachung der sicherheitskritischen Fahrzeuge unterstützt LoMoSS ein flexibles Stellkonzept auf Fährschiffen. Für ein vollständiges Lagebild müssen die konkreten Positionen der Fahrzeuge an Bord jedoch zunächst einmal erfasst werden. Hierfür könnten zukünftig automatisierte Lösungen entwickelt und erprobt werden. Des Weiteren ist auch die Einbindung ergänzender Module in den Demonstrator vorstellbar, um die Funktionalitäten über die Überwachung hinaus zu erweitern und die Fährprozesse ganzheitlich zu unterstützen. So könnten etwa Module für vorgelagerte Prozesse wie die Beladungsplanung und die Beladungskoordinierung integriert werden.


Weitere Informationen zum Projekt ALBERO:

https://alberoprojekt.de/

Das BMBF-Verbundprojekt »Transport alternativ betriebener Fahrzeuge auf RoRo-Fährschiffen« (ALBERO) wurde im Rahmen der Bekanntmachung »Zivile Sicherheit – Verkehrsinfrastrukturen« gefördert.

 

Projektträger:

VDI Technologiezentrum GmbH

 

Verbundkoordinator:

Institut für Sicherheitstechnik und Schiffssicherheit e.V.

 

Verbundpartner:

Hochschule Bonn-Rhein-Sieg

Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart

GTE Industrieelektronik GmbH

Lloyd's Register

Fraunhofer FKIE

 

Assoziierte Partner:

TT-Line GmbH & Co. KG

Scandlines Deutschland GmbH

Stena Line GmbH & Co. KG

Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur

Verband Deutscher Reeder

Hafen- und Seemannsamt Rostock