Kooperative & hochautomatisierte Konvoiführung

Automatisiertes Fahren von LKWs in Form von automatisierten Konvois befindet sich an der Schwelle von der Forschung hin zur Serienentwicklung. Im Projekt »Interoperable Robotic Convoy« (InterRoC) des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) wurden Autonomie-Kits (A-Kits) in zwei Logistikfahrzeuge integriert. Teil einer Entwicklung solcher komplexen Systeme aus Mensch, Technik, Organisation und Umwelt ist die Überprüfung des Gesamtsystems z. B. bezüglich Leistung, Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit mit der Hilfe von standardisierten Testfällen. Die Grundlage für standardisierte Testfälle wurde im Vorgängerprojekt TAFinA (Testfälle des Automatisierten Fahrens in grundlegenden Anwendungen) gelegt. Erste Untersuchungen zeigten deutlich die Signifikanz des zentralen Bediengeräts als einen wichtigen Bestandteil des Automationssystems. Somit steht im Projekt EKOHOK sowohl eine dedizierte Betrachtung und Bewertung der zurzeit genutzten Schnittstellen als auch die Erweiterung und Überprüfung des Testfallkatalogs im Fokus.

Exploration der kooperativen hochautomatisierten Konvoiführung (EKOHOK)

Ziel der, dem Projekt EKOHOK vorausgegangenen, F&T-Studie »TAFinA« (Testfälle des Automatisierten Fahrens in grundlegenden Anwendungen) war die Entwicklung eines Testfallkataloges zur Überprüfung von automatisierter und in geringem Maße ferngesteuerter Fahrfunktionen. Diese Testfälle sollen die erwarteten Abläufe bei grundlegenden automatisierten Fahrsituationen beschreiben und diese zur Dokumentation vorbereiten, um so eine Bewertung von verschiedenen Autonomie-Kits zu ermöglichen.

Der Testfallkatalog sollte in mehreren Schritten von der Theorie hin zu einem in der Realität anwendbaren Überprüfungsmittel entwickelt werden. Die darauffolgende Überprüfung stellt planmäßig eine Ausführung als Kombination aus virtuellen und realen Methoden dar, um so eine balancierte Analyse zu garantieren. Für die virtuelle Überprüfung wurde ein Simulator aufgebaut, in dem ein Testfall mit zwei oder mehr Fahrzeugen durchfahren werden kann (vgl. Abbildung 3).

Zugleich sollten die Testfälle mit Robotik-Plattformen in der Realität dargestellt werden, um etwaige technische Herausforderungen schon vor den Erprobungen mit den Fahrzeugen der Bundeswehr identifizieren zu können. Darauf aufbauend liegt der Fokus des Projekts EKOHOK auf der Anwendung der Basistestfälle im Realfahrzeug, um somit die Nutzbarkeit des Testfallkataloges zu erproben und erste Bewertungen der Systeme vornehmen zu können. Zudem bestand ein Ziel darin, eine Analyse und Optimierung der Benutzerschnittstelle durchzuführen, sowie eine Neukonzeption zu entwickeln und zu evaluieren.   

© Fraunhofer FKIE
Erste Erprobung im Simulatoraufbau mit Soldaten der Bundeswehr.
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Beispiel Basistestfall „Sichere Übergabe A-Kit initiiert vom A-Kit an den Sicherheitsfahrer“.
© Fraunhofer FKIE
Darstellung im Kleinen: Hoch automatisierte Folgefahrt im manuell geführten Roboterkonvoi

Das Vorgängerprojekt TAFinA wurde in mehreren Schritten von der Theorie in die Praxis gebracht. Zunächst wurde eine theoretische Grundlage geformt, woraufhin die ersten Basistestfälle entworfen wurden. Diese wurden in einem dafür entwickelten Simulatoraufbau gemeinsam mit Fahrern der Bundeswehr erstmalig durchfahren (Abbildung 4). Gleichzeitig wurden die Testfälle auch in der Realität mit der Hilfe von Roboterplattformen erprobt. So wurde eine Liste von Variablen, wie zum Beispiel der Wetter- und Straßenverhältnisse, der verschiedenen Rollen und Bewertungskriterien erarbeitet, um einen Testfallkatalog zu erstellen. Die entwickelten Testfälle wurden beschrieben und grafisch ausgearbeitet (Abbildung 5).   

Um den ersten Schritt in die Realität zu machen, wurden zwei Robotik-Plattformen beschafft, mit deren Hilfe die Testfälle im kleinen Format dargestellt werden können (Abbildung 6). So können die Umwelteinflüsse und die technischen Herausforderungen wie z. B. die Qualität und Stabilität der Funkverbindungen unter den Fahrzeugen in den jeweiligen Testfällen identifiziert werden. Das Projekt EKOHOK baut auf diesen gelegten Grundlagen auf und entwickelt diese weiter. Denn die erstellten Testfälle sollen einerseits dazu dienen einzelne Automationssysteme zu überprüfen, aber ebenfalls verschiedene Autonomiekits miteinander vergleichen zu können. Ein einzelner Testfall, z. B. das Anfahren des Konvois, stellt allerdings einen, im Vergleich zu einer tatsächlichen Konvoifahrt, zeitlich kurzen Ausschnitt dar. Um einen möglichst natürlichen Ablauf der Versuche zu erreichen, ist folglich eine Verknüpfung mehrerer Testfälle zu einem Prüfschema sinnvoll (vgl. Abbildung 2). Durch die Kombination mehrerer Testfälle wird die Überprüfung der Systeme effizienter gestaltet und bildet die Realität einer Konvoifahrt deutlicher ab.

Auf die Theorie der Testfälle und Prüfschemata folgte der Sprung in die Praxis mittels deren Anwendung im Realversuch. Drei Prüfschemata wurden auf einen Konvoi aus zwei mit dem InterRoC-System ausgestatteten Fahrzeugen der Bundeswehr angewendet. Die Untersuchung fand in Kooperation mit der U6.2 des BAAINBws, Rheinmetall Landsysteme (RLS) und dem Zentrumkraftfahrtwesen der Bundeswehr (ZKfWBw) auf dem Bundeswehrgelände in Bad Fallingbostel statt. Die Schemata wurden auf einer ca. 5 km langen Strecke angewendet und zu Vergleichszwecken mehrfach mit Soldaten der Bundeswehr im manuellen Modus, sowie mit eingeschalteter Automation abgefahren. Die Fahrten wurden mittels unterschiedlichster Sensoren aufgezeichnet, um Auffälligkeiten im Verhalten des Fahrsystems erkennen zu können. Mittelpunkt der Datenaufzeichnung bildeten dabei mehrere Kameras, welche im Außenbereich das Verhalten des Automationssystems sowie in der Fahrerkabine die Aktionen der Probanden dokumentierten.

Hinsichtlich der Nutzung der Prüfschemata fiel das Fazit positiv aus. Die Kombination aus Testfällen konnte eine gute Vergleichbarkeit und Reproduzierbarkeit herstellen bei einer gleichzeitig hohen Realitätsnähe. Die Ergebnisse der Interviews zeigen, dass noch vorhandene technische Probleme des Systems die Durchführung der Aufgaben erschwerten. Für die Gestaltung der Bedieneroberfläche wurden Änderungswünsche durch die Probanden geäußert.

Basierend auf den Ergebnissen der Analyse der Benutzerschnittstelle wurde eine Neukonzeptionierung des Interfaces vorgenommen, welche implementiert und anschließend mittels Simulation hinsichtlich der Nutzerfreundlichkeit sowie der Bedienbarkeit untersucht wurde. Hierfür wurde eine neue Simulation in einer weiteren Ausbaustufe aufgebaut und mit einer Bewegungsplattform kombiniert, um so den Einfluss der Fahrdynamik auf die verschiedenen Aufgaben beim Führen oder Überwachen eines solchen Konvois zu überprüfen (siehe Abbildung 8). So kann z. B. die Bedienbarkeit der Benutzerschnittstelle während der Fahrt bewertet werden. Die Erprobung fand mit Soldaten der Logistik- und Versorgungsbataillonen der Bundeswehr statt. Die neu entwickelte Schnittstelle wurde zudem mit Hilfe des Realaufbau mit zwei UGV’s evaluiert, um das Potenzial des Interfaces sowie eines Testfallkatalogs für weitere Anwendungsfälle aufzuzeigen wie z. B. automatisierte Fahrfunktionen in Kampfsystemen oder in automatisierten unbemannten Plattformen, die dem abgesetzten Soldaten folgen oder aus der Distanz überwacht werden. 

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Beispiel eines Prüfschemas
© Fraunhofer FKIE / BAAINBw
Simulatoraufbau auf einer Bewegungsplattform.
© Fraunhofer FKIE / BAAINBw
Neuer Simulatoraufbau mit optimierter Benutzerschnittstelle.

Der Einsatz von Fahrautomation im militärischen Kontext ist nicht nur auf einen hoch automatisierten Logistikkonvoi für die Regelversorgung beschränkt. Darüber hinaus besteht eine Vielzahl von weiteren möglichen Anwendungen. Der in diesen Projekten erarbeitete Testfallkatalog kann hier als Grundlage genutzt werden, um noch weitere Anwendungsfälle zu überprüfen. Gleichzeitig kann der erarbeitete Testfallkatalog auch um Umwelt- und Technikfaktoren in ansteigenden Komplexitätsstufen erweitert werden. So kann zum Beispiel der Einfluss von verschiedenen Fahrbahnoberflächen und Zuständen auf Fahrautomationssysteme evaluiert werden.

Diese detaillierte Evaluation der Testfälle kann, dank der im Rahmen der Projekte entwickelten Methoden und Demonstratoren, in einer Kombination aus digitalen, digital-realen und realen Überprüfungen stattfinden. So können alle Testfälle in dem am FKIE aufgebauten Simulator durchfahren werden, um z. B. erste Messwerte bezüglich des Sicherheitsbefindens der Sicherheitsfahrer zu erfassen, und gleichzeitig mit Robotik-Plattformen nachgestellt werden, um beispielsweise erste technische Herausforderungen zu identifizieren. Mit einem solchen multimodalen und flexiblem Ansatz können die notwendigen Messwerte und Bewertungskriterien wie z. B. der Sicherheitsabstand oder das zu erwartende Bremsverhalten gemeinsam mit erfahrenen Kraftfahrern der Bundeswehr weiter erarbeitet werden.

Die Signifikanz des zentralen Bediengeräts als wichtiger Bestandteil des Automationssystems, sowohl für den Konvoi-Operator, als auch für die Sicherheitsfahrer wurde im Rahmen der Projekte deutlich. Anhand der ersten Neukonzipierung und der Ergebnisse der Erprobungen kann die Entwicklung eines speziell für die Anforderungen der Bundeswehr geschaffenen Interaktionskonzepts bzw. Bedienoberflächenkonzepts vorangetrieben werden. So kann ein neues Interaktionskonzept in die Simulation integriert und in verschiedenen Szenarien mit Militärkraftfahrern (MKFs) und Zulassern evaluiert werden. Denn gerade bei hoch automatisierten Fahrfunktionen sind, insbesondere was die Kontrollierbarkeit und Zulassung angeht, noch einige Forschungsfragen offen, die jedoch mit den beschriebenen Methoden und Aufbauten beantwortet werden können.

Projektzeitraum

2023 - 2024

 

Projektpartner

Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw)

© Fraunhofer FKIE
InterRoC-Fahrzeuge auf der Basis von 2 MAN HX-Logistikfahrzeugen.
© Fraunhofer FKIE
Untersuchung von automatisierten LKW-Konvois.
© Fraunhofer FKIE
Konstruktionszeichnung eines Fahrsimulators zur virtuellen Überprüfung.