MESiKa

Zeit, Kosten und aktuelle technologische Möglichkeiten sind die größten Einschränkungen für die Entwicklung neuer Lösungen. Dies zeigt sich besonders deutlich im militärischen Bereich, wo neue Fahrzeuge Jahrzehnte brauchen können und die Budgets viel größer sind als auf dem zivilen Markt. Unter solchen Bedingungen und um die Zeit für zukünftige Nachrüstungen von Systemen in älteren Fahrzeugplattformen zu verkürzen, wurde eine Methode entwickelt, die eine realistische frühzeitige Bewertung neuer Lösungen ermöglicht. Diese Methode nutzt die Tangible XR-Technologie, um den Nutzer in das Zielprodukt eintauchen lassen zu können.

Methodenentwicklung für die Evaluation von Sichtunterstützungssystemen in Kampfräumen (MESiKa)

© Fraunhofer FKIE
Abbildung 1: Vorgehen der balanced Analysis angewandt auf MESiKa.
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Abbildung 2: Simulator Mock-Up links Fahrer, rechts Kommandant und Schütze.

Mithilfe der im Rahmen der Projekte EnUSi I und EnUSi II entwickelten Methode wurde eine fortschrittliche und komplexe Simulationsplattform für die Bewertung von Sichtsystemen entwickelt. Dieser Simulator verwendet das Konzept der Tangible XR [1, 2, 3, 4], das dem Nutzer ein intensiveres Erlebnis ermöglicht (presence), indem er die wichtigsten Objekte um ihn herum fühlen und mit ihnen physisch interagieren kann. Schnittstellen wie Spiegel, Bedienelemente, Pedale und Bildschirme gibt es sowohl in der virtuellen Welt als auch in der Realität. Diese Schnittstellen können leicht mit verschiedenen Versionen ausgetauscht werden, was eine große Flexibilität bei der Gestaltung und Bewertung von Prototypen und Konzepten ermöglicht (vgl. Abbildung 1, Abbildung 2). 


Die im Rahmen von EnUSi I & II entwickelte Methodik und die Simulationsplattformen wurden anschließend validiert, was gemeinsam mit dem weiteren Ausbau der Methodik Schwerpunkt des Projekts MESiKa war.
 

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Abbildung 3: Bildhafte Darstellung des Szenarioaufbaus.
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Abbildung 4: Beispiel für die Sichtsysteme in der VR. Die Bildschirme und ihre Position können leicht geändert werden.
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Abbildung 4: Beispiel für die Sichtsysteme in der VR. Die Bildschirme und ihre Position können leicht geändert werden.

Mit der Methodik der balanced Analysis [5, 6] (vgl. Abbildung 1) als Leitfaden besteht der erste Schritt darin, Informationen für die Vorbereitung der Simulationsplattform zu sammeln. Dies wurde durch einen virtuellen Workshop erreicht, bei dem Stakeholder und Nutzer Details zu ihren Operationen, Interaktionen und Dynamiken nicht nur zwischen der Besatzung, sondern auch mit anderen Fahrzeugen liefern konnten. Die gewonnenen Informationen wurden für die Vorbereitung der Simulationsplattform verwendet. Zunächst wurde eine neue virtuelle Umgebung geschaffen. Diese Umgebung enthielt eine Auswahl von Situationen, in denen die Besatzung kooperieren und die verfügbaren Sichtsysteme nutzen musste, um erfolgreich ihre Aufgaben zu erfüllen (vgl. Abbildung 3). 

Parallel dazu wurde auch am physischen Mock-Up gearbeitet, um seine Funktionsweise mit den Erkenntnissen vorausgegangener Experimente zu verbessern. Die Steuerung und das Headset-Tracking waren dabei die beiden wichtigsten Bereiche. Um die Vorbereitung des Simulators abzuschließen, mussten die Sichtsysteme genau implementiert werden. Diese Sichtsysteme umfassen Kamera-Monitor-Systeme in alten und neuen Konfigurationen für den SPz PUMA, die Winkelspiegel und die umgebenden Kameras (vgl. Abbildung 4).

Diese implementierten Sichtsysteme wurden dann mit Hilfe von ausgebildeten Soldaten des PzGrenBtl 122 in Oberviechtach im Tangible XR-Simulator des FKIE evaluiert. Die Aufgabe bestand darin, den vorbereiteten Parcours zunächst mit der derzeitigen Konfiguration im SPz PUMA (Winkelspiegel und alte Monitore) und anschließend mit der vorgeschlagenen neuen Anordnung, vergleichbar mit der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) Version des PUMA (neuere und größere Monitore mit besserer Auflösung), zu durchfahren (Abbildung 5, Abbildung 6, Abbildung 7).

Schließlich wurden durch eine Reihe von Interviews Informationen über Belastung und Beanspruchung (Workload), Nutzererlebnis (User Experience) und andere Aspekte gesammelt. Sowohl Workload als auch User Experience zeigten eine positive Präferenz für die neue Anordnung des Sichtsystems. Diese Ergebnisse sind wichtig und vielversprechend, denn sie zeigen, dass zumindest unter diesen Testbedingungen Unterschiede zwischen den Sichtsystemen in VR von den Nutzern wahrgenommen und bewertet werden können.

 

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Abbildung 5: Kommandant beim Führen des Fahrzeugs im Tangible XR-Simulator.
© Fraunhofer FKIE / BAAINBw
Abbildung 6: Militärkraftfahrer im Simulator-Mock-Up.
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Abbildung 7: Veränderung der Winkelspiegel im Simulator.

In der ersten Phase des Projektes wurden zwei Sichtsysteme in der VR miteinander verglichen, wobei Unterschiede bei der Bewertung festgestellt werden konnten. Es wurden zwar Verbesserungsvorschläge durch die Probanden geäußert, welche sich allerdings überwiegend auf Schnittstellen wie z. B. die Richtgriffe, fehlende Eigenposition bzw. fehlende Lagedarstellung oder das Fahrverhalten in der Simulation bezogen, sodass die Bewertung der Sichtsysteme weiterhin gültig ist. Dennoch sollten weitere Verbesserungen am Simulator vorgenommen werden, damit die Teilnehmer nicht von ihren Aufgaben und Tätigkeiten abgelenkt werden.

Die nächste Phase des Projekts MESiKa bestand darin, die untersuchten Sichtsysteme in einem realen Fahrzeug zu testen und die Methodik auf andere Fahrzeugplattformen auszuweiten. Auch wenn die Vorbereitung eines Realexperiments komplexer ist und zusätzliche Parteien involviert sind, wird die gleiche Balanced-Analysis-Methode als Leitfaden für die Planung verwendet. Das Ziel dieses direkten Vergleichs ist es, festzustellen, inwieweit ein Tangible XR-Simulator für die Bewertung von Sichtsystemen verwendet werden kann und welche Aspekte noch in der Realität getestet werden müssen.

Da sich die Methodik im Hinblick auf den SPz PUMA als nützlich erwiesen hat, sollte ihre Eignung für den Einsatz auch bei anderen Fahrzeugplattformen geprüft werden. Um dies zu erreichen, wurde eine erste Bewertung mit einem Leopard II durchgeführt, was sowohl Änderungen am Hardware-Mockup als auch eine neue Umgebung in VR erfordert. Ähnliche Ergebnisse wie die zuvor erzielten wären ein Hinweis auf die Verallgemeinerbarkeit der Methode.

[1] Bielecki, K., Bloch, M., Schmidt, R., Hernández, D. L., Baltzer, M., & Flemisch, F. (2019, September). Tangible virtual reality in a multi-user environment. In Proceedings of the 11th International Conference on Automotive User Interfaces and Interactive Vehicular Applications: Adjunct Proceedings (pp. 76-80).

[2] López-Hernández, D., Bloch, M., Bielecki, K., Schmidt, R., Baltzer, M. C. A., Flemisch, F.: Tangible VR Multi-user Simulation Methodology for a Balanced Human System Integration. In: Advances in Simulation and Digital Human Modeling. pp. 183–189. Springer International Publishing (2020). https://doi.org/10.1007/978-3-030-51064-0_24

[3] Flemisch, F., Bielecki, K., Hernández, D. L., Meyer, R., Baier, R., Herzberger, N. D., & Wasser, J. (2020). Let’s Get in Touch Again: Tangible AI and Tangible XR for a More Tangible, Balanced Human Systems Integration. In International Conference on Intelligent Human Systems Integration (pp. 1007-1013). Springer, Cham.

[4] Flemisch, F., Bielecki, K.; Preutenborbeck, M.; Herzberger, N.; Baltzer, M.; Wasser, J.; Segler, K.: Tangible XR für die Exploration und Gestaltung von Mensch-Technik-Systemen in hybriden Arbeitswelten; GfA, Sankt Augustin (Hrsg.): Frühjahrskongress 2022, Magdeburg Technologie und Bildung in hybriden Arbeitswelten, 2022

[5] Flemisch, F., Semling, C., Heesen, M., Meier, S., M., B., Krasni, A., & Schieben, A. (2013). Towards a balanced Human Systems Integration beyond time and space: Exploroscopes for a structured exploration of human–machine design spaces. HFM-231 SYMPOSIUM On “Beyond Time and Space", 1–16.

[6] F. Flemisch, M. C. A. Baltzer, S. Sadeghian, R. Meyer, D. L. Hernández, and R. Baier, “Making HSI More Intelligent: Human Systems Exploration Versus Experiment for the Integration of Humans and Artificial Cognitive Systems,” in Advances in Intelligent Systems and Computing, Springer International Publishing, 2019, pp. 563–569.