Roboter üben für den nuklearen Ernstfall

Unfall im Atomkraftwerk. Explosion nahe dem Reaktor. Wie sieht es in dem Gebäude jetzt aus? Droht Einsturzgefahr? Ist Strahlung ausgetreten? Menschen scheiden zur Aufklärung dieser zeitkritischen Fragen aus. Sie in diese unbekannte Lage zu schicken, wäre zu gefährlich. Einzig Roboter können jetzt die Situation vor Ort erkunden. Doch sind die robotischen Systeme bereits technisch so weit, unterstützen zu können? Beim »European Robotics Hackathon (EnRicH)« haben Forschung, Universitäten, Industrie und Anwender die Gelegenheit, das zu testen.

European Robotics Hackathon (EnRicH)

© Fabian Vogl
Das niemals in Betrieb gegangene Atomkraftwerk Zwentendorf nahe Wien ist der ideale Austragungsort für den seit 2017 alle zwei Jahre stattfindenden European Robotics Hackathon (EnRicH).
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Bei einem Störfall können nur Roboter die Lage vor Ort erkunden, Menschen in die Gebäude zu schicken wäre aufgrund der hohen Strahlenlast zu gefährlich.
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In der Disziplin »Manipulation« geht es darum, Strahlungsquellen in einem eigens errichteten Rohrsystem zu identifizieren und Ventile zu schließen.

Die Atomkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 und der GAU in Fukushima 25 Jahre später, im März 2011, haben eines deutlich gemacht: Absolute Sicherheit gibt es bei Atomkraft nicht. Trotz jahrzehntelanger Erfahrung, ausgetüftelter Notfallpläne und sich stetig fortentwickelnden Technologien kann es in jedem Atomkraftwerk jederzeit zu einem Unfall kommen. Mit verheerenden möglichen Folgen für Menschen und Umwelt.

Neben teils veralteten Anlagen, Naturkatastrophen und dem unberechenbaren Faktor Mensch hat sich die Lage durch die zunehmende Bedrohung durch terroristische Angriffe noch verschärft. Allein in den kerntechnischen Anlagen Europas sind seit dem Jahr 2000 rund 40 Störfälle registriert worden (Stand: 2021).

Doch nicht nur der Super-GAU, sondern auch bereits die geordnete Stilllegung alter kerntechnischer Anlagen oder der Abbau von Zwischenlagern rufen Roboter zur Unterstützung auf den Plan. »Die Einsatzszenarien für robotische Systeme im Bereich CBRNE sind sehr real, trotzdem wird bislang erstaunlich wenig konkret in diese Richtung geforscht«, erläutert Dr. Frank E. Schneider, stellvertretender Leiter der Abteilung »Kognitive Mobile Systeme« am Fraunhofer FKIE.

Um die Möglichkeit zu bieten, den aktuellen Stand von Forschung und Technik in realen Einsatzszenarien auf die Probe zu stellen, hat er im Jahr 2017 gemeinsam mit dem Amt für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) des österreichischen Heeres den »European Robotics Hackathon (EnRicH)« initiiert.

Reale Einsatzszenarien aus vergangenen Katastrophen

Der Wettbewerb findet seitdem alle zwei Jahre in dem nahe Wien gelegenen Kernkraftwerk Zwentendorf statt. Das AKW entspricht demselben Reaktortyp wie der Katastrophenmeiler in Fukushima. Seine Einschaltung wurde jedoch 1978, kurz nach seiner Fertigstellung, durch eine Volksbefragung gestoppt.

Das niemals in Betrieb gegangene Kernkraftwerk bietet damit den idealen Austragungsort für die realitätsnahen Aufgabenstellungen, die unter anderem auf realen Einsatzszenarien vergangener Atomunfälle beruhen. »EnRicH ist zudem der einzige Wettbewerb in Europa, bei dem mit echter Strahlung geübt wird«, hebt ARWT-Leiter General Michael Janisch eine weitere, durch sein Amt ermöglichte Besonderheit des Hackathons hervor. »Hier zeigt sich, was die europäische Robotik im Fall der Fälle leisten kann.«

© Fraunhofer FKIE
Die Aufgabenstellung bei EnRicH ist anspruchsvoll und stellt die Teams vor immer neue Herausforderungen.
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Enge Gänge und dicke Betonwände gehören zur typischen Beschaffenheit eines Kernkraftwerks und verlangen den Teilnehmern einiges an Können ab.

Ganz im Sinne und Verständnis eines Hackathon sieht sich die Veranstaltung weniger als Wettbewerb, sondern vielmehr als gemeinsame Übung, die der internationalen Robotik-Elite und den Nuklear-Experten Gelegenheit bietet, sich zu vernetzen, über neueste Entwicklungen und Fortschritte auszutauschen und unterschiedliche Lösungsansätze bei der Bewältigung der fordernden, realitätsnahen Aufgaben zu vergleichen.

Dennoch ist die Veranstaltung wie ein Wettbewerb organisiert. Die Teilnehmerteams können sich für unterschiedliche Disziplinen melden und in diesen messen. Zu lösen sind Aufgaben aus den Bereichen »Exploration«, der Erkundung und möglichst genauen Kartierung der Infrastruktur inklusive der Messung und Kartierung ausgetretener Strahlung, »Manipulation« sowie »Search & Rescue«.

Herausfordernde Aufgaben in 40 Metern Höhe

Für alle Kategorien stehen spannende Szenarien auf dem Programm. So spielte zum Beispiel die erste EnRicH-Ausgabe auf einer Reaktorebene in 40 Metern Höhe. Die Roboter, die teilweise mehr als eine Tonne wiegen, mussten zunächst mit einem Kran nach oben befördert werden, was für alle Beteiligten eine gewaltige Herausforderung darstellte.

Auch bei der zweiten EnRicH-Ausgabe 2019 waren die insgesamt zehn internationalen Teams und ihre Roboter stark gefordert. Schauplatz des Aufgabenparcours war diesmal zwar das Erdgeschoss des AKW, allerdings inklusive des Reaktorbereichs. Auch hier rang die typische Beschaffenheit eines Atomkraftwerks den Teams und ihren Robotern einiges an Können ab: Sie mussten durch dunkle Gänge, enge Türen und steile Treppen manövriert werden. Zusätzlich erschwerten die massiven Betonwände jede Art von Funkverbindung.

© Fabian Vogl
Finetuning von Software und Technik nach den Erkenntnissen der ersten Testdurchläufe: Für die eigentlichen Wettbewerbsdurchgänge soll alles optimal vorbereitet sein.
© Fabian Vogl
Auch 2021 konnte sich Team FKIE wieder erfolgreiche Platzierungen im Hackathon sichern. Die praktischen Erfahrungen und Erkenntnisse finden unmittelbaren Eingang in die weitere Forschungsarbeit.

»EnRicH ist aus unserer Sicht eine sehr erfolgreiche Veranstaltung, bei der mittlerweile deutlich bessere Leistungen gezeigt werden als noch bei der ersten Ausgabe 2017«, so Dr. Frank E. Schneider. »Allerdings ist es bis hin zu Lösungen, die im Ernstfall wirklich zuverlässig und vielfältig Unterstützung bieten können, noch ein sehr weiter Weg, der weiterer umfangreicher Forschungsarbeit bedarf.«

So bereiten beispielsweise allein die Fortbewegung auf nicht ebener Fläche oder schwierige Kommunikationsbedingungen, mit denen im realen Katastrophenfall zu rechnen ist, den meisten Robotern noch erhebliche Probleme.

Zu welchen Ergebnissen die Erfahrungen der Teilnehmerteams geführt haben, wird sich bei der kommenden vierten EnRicH-Ausgabe vom 12. bis 16. Juni 2023 zeigen. Erneut hat das Amt für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) des österreichischen Heeres seine Unterstützung zugesichert. Schneider: »Auch anforderungstechnisch werden wir dann aber natürlich wieder neue Maßstäbe setzen.«

Erfolgreiche Platzierungen für das Team FKIE

Und nicht nur für Planung, Organisation und Durchführung des Hackathons zeichnet das Fraunhofer FKIE verantwortlich. Ein weiteres Team der Abteilung »Kognitive Mobile Systeme« (CMS) stellt sich in den eigenen Forschungsschwerpunktthemen auch jedes Mal aktiv den Disziplinen. Bislang überaus erfolgreich: So bewertete die unabhängige Jury aus internationalen Experten die Leistungen der FKIE-Wissenschaftler 2021 mit Platz 1 in der Kategorie »Radiation Mapping« und Platz 2 in der Kategorie »Manipulation«.  

 

 

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Team FKIE @EnRicH 2021

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